Donnerstag, 16. Juni 2016

Filmrezension ~ Colonia Dignidad

©Majestic

Inhalt

Chile, 11. September 1973. Hunderttausende protestieren auf den Straßen Santiagos gegen General Pinochet, der sich gegen den Präsidenten Salvador Allende an die Macht putscht. Unter den Demonstranten sind auch Lena (Emma Watson), die als Stewardess am Tag zuvor in Chile gelandet ist, und ihr Freund Daniel (Daniel Brühl), der als Fotograf in Santiago lebt. Unzählige werden in den Wirren des Aufruhrs vom Geheimdienst verhaftet, so auch Daniel und Lena. Daniel wird noch in der Nacht an einen unbekannten Ort verschleppt. Nach dem ersten Schock versucht Lena herauszufinden, was mit Daniel passiert ist. Doch die Mitstreiter seiner Studentengruppe tauchen unter und auch die Deutsche Botschaft verweigert ihr jede Hilfe. Bei Amnesty International hört sie das erste Mal von der berüchtigten Colonia Dignidad, einer abgeschotteten deutschen Sekte im Süden Chiles, die enge Verbindungen zum Geheimdienst unterhält: es geht das Gerücht um, dass auf dem Gelände der Colonia Gefangene gefoltert werden – und Daniel vermutlich dort gefangen gehalten wird. Völlig auf sich allein gestellt, entschließt sich Lena, der mysteriösen Sekte beizutreten und so Daniel wiederzufinden. Doch schon bald erkennt sie, in welch aussichtslose Situation sie geraten ist, denn noch nie ist jemandem die Flucht aus der Colonia gelungen... QUELLE

Meine Meinung

Seit ich damals von den Dreharbeiten zu dem Film gehört habe, wollte ich ihn unbedingt sehen. Allein schon, weil ich ein großer Emma Watson Fan bin und versuche, mir jeden ihrer Filme anzuschauen (wobei ich sie erst seit Noah für eine gute Schauspielerin halte). Als ich dann aber erfuhr, dass Emma Watson nicht ihre typische deutsche Synchronstimme haben würde - Gabrielle Pietermann - habe ich mich geweigert, den Film auf Deutsch zu sehen. Ich schaue mir sowieso oftmals Filme in OV an, aber manchmal ist das bei mir in der Gegend recht schwierig, sich Filme in OV im Kino anzuschauen, da meistens nur die größten Blockbuster auf Englisch angeboten werden. Und viele kleinere Indipendent-Filme werden gar nicht gezeigt (wie damals The Perks of being a Wallflower). Jedenfalls hatte ich nun die Möglichkeit, den Film doch in OV zu sehen, weswegen ich die Gelegenheit direkt nutzen musste. Vor allem die Thematik des Films reizte mich sehr, da ich bisher noch nicht sonderlich über die politischen Probleme in Chile in den 1970er Jahren gehört hatte - außer dem, was man sowieso im Laufe seines Lebens mitbekommt - geschweige denn von der "Sekte" Colonia Dignidad.

Der Film steigt schnell in die Handlung ein. Lena und Daniel werden vorgestellt und verbringen einige sehr intensive gemeinsame Tage in Chile. Die politischen Probleme sind dabei jedoch allgegenwertig. Und während der Film zu Beginn tatsächlich sogar noch so harmlos beginnt, geht es zugleich weiter Schlag auf Schlag. Das Flair und die Atmosphäre der 70er Jahre wurde jedenfalls sehr authentisch wiedergegeben und man fühlte sich vom ersten Moment an in die Zeit hineinversetzt. Auch die politischen Unruhen und die Studentenbewegungen wurden angerissen, aber nur grob, was aber auch okay war, da sich der Film nicht in erster Linie damit befassen wollte. Die Verfolgung der Portestanten und die Festnahme von Lena und Daniel war aber definitv sehr eindrücklich und nervenaufreibend und obwohl ich wusste, dass sie die Festnahme überleben, habe ich richtig mitgefiebert.

Daniel wird entführt und in das von der Außenwelt abgeschottete sektenähnliche Lager Colonia Dignidad gebracht. Dort wird er gefoltert und misshandelt. Diese Szenen werden in erster Linie angedeutet und wenig visuell dargestellt, aber das, was man sieht, reicht einem. Nach einiger Recherche erfährt Lena, wo Daniel hingebracht wurde und sie beschließt, ihn aus der Sekte zu befreien. Als sie das erste Mal auf den Sektenführer Paul Schäfer trifft (Michael Nyqvist), läuft es dem Zuschauer kalt den Rücken hinunter. Paul Schäfer ist widerlich, kalt und berechnend, aber unberechenbar. Er leitet die Sekte mit harter Hand und fördert bei den Männern den Hass gegen Frauen - so werden sie häufig als sluts und whores bezeichnet und kollektiv bestraft, wenn sie gegen eine der strengen Regeln verstoßen haben. Zudem scheinen sie härter arbeiten zu müssen als die Männer. Schäfer ekelt den Zuschauer an und seine perfiden und kranken Gelüste werden immer wieder aufgezeigt, ohne zu viel zu zeigen. Nyqvist spielt die Rolle des Sektenführers überzeugend, abwechselnd gelangweilt und beinahe lasziv, im nächsten Moment aggressiv und brutal. Ich hatte beim Zusehen Gänsehaut. An vielen Stellen vermittelt der Film einen deutlichen Eindruck der Hölle, in der sich die Menschen in Colonia Dignidad viele elende Jahre lang befunden haben. Eine Sekte, die innerhalb einer Militärdiktatur geschützt wird und ein skrupelloser Sektenführer, der selbst große Institutionen und Politiker in seiner Hand hat.

Das gesamte Flair in dem Lager war beklemmend und eindrücklich. Die Menschen leben dort geschlechtergetrennt wie in einer Kaserne. Sie tragen biedere Kleidung, die oftmals an bayerische Trachten erinnert. Alles ist in grau- und brauntönen gehalten und sehr trist, was sehr gut dem Zuschauer vermittelt wird. Besonders gut haben mir die Angaben gefallen, wie viel Zeit schon verstrichen ist. Dabei wurde immer der Plan eines Gebäudes oder eines Raumes auf dem Gelände eingeblendet.

Leider fehlt dem Film an mancher Stelle irgendwie die Tiefe. Die Protagonisten Lena und Daniel funktionieren nur im Moment. Die Motivation der beiden Figuren wird jedoch nicht immer deutlich. Beziehungsweise wird nicht deutlich, was Daniel dazu motiviert hat, sich an den Protesten in Chile zu beteiligen und warum er überhaupt da ist. Lena bekommt da schon etwas mehr Fläche geboten. Eher zufällig und unbeteiligt gerät sie als Stewardess zwischen die Fronten, als sie ihren Freund besucht. Ihre weitere Motivation ist es natürlich, ihren Freund zu retten. Das war zur Abwechslung mal sehr erfrischend, dass nicht die Frau gerettet werden muss, sondern dass sie alles auf eine Karte setzt und ihren Geliebten retten muss. Trotzdem hätte ich gerne ein bisschen mehr über die Vergangenheit der Beiden erfahren. Nicht zu viel, aber mir fehlte da einfach ein bisschen Screentime für die Beziehung, die ansonsten aber sehr harmonisch und liebevoll dargestellt wurde. Auch über ein paar andere Figuren hätte ich gerne mehr erfahren, allen voran natürlich Paul Schäfer. Aber auch Gisela (Richenda Carey), die Aufsicht der Frauen, und Ursel (Vicky Krieps) bleiben leider etwas blass und man versucht, ihnen in wenigen Augenblicken Tiefe zu geben. Anderweitig bleiben einige Fragen unbeantwortet. Wer ist der Verräter mit dem Sack über dem Kopf? Was passierte mit Dorothea (Jeanne Werner)?

Auch wenn Lena und Daniel mehrere Monate in Colonia Dignidad verweilen müssen, so muss dann am Ende plötzlich doch alles sehr schnell gehen und es kommt zu einer rasanten Flucht über einen Fluchtweg, den die beiden zufällig entdeckt haben. Doch als man sich endlich in Sicherheit wiegt, wird nochmal ordentliches Geschütz aufgefahren um die Flucht doch noch zu stoppen. Aufatmen gibt es wirklich erst dann, wenn der Film vorbei ist. Doch auch der Abspann beklemmt mit den Informationen über Colonia Dignidad und man wird daran erinnert, dass, auch wenn die Geschichte von Daniel und Lena frei erfunden ist, das Pinochet Regime mit seinen Verbrechen und Colonia Dignidad und die Verbrechen dort bittere Realtität waren.

Ich weiß, dass der Film auf einigen Plattformen relativ schlechte Bewertungen bekommen hat. Bei FILMSTARTS zum Beispiel nuur 1.5 Sterne. Das ist in meinen Augen ein Witz, vor allem klingt die Kritik für mich völlig unbegründet. Sicherlich handelt es sich hierbei nicht um einen 5 Sterne Film, aber 1.5 Sterne ist schon fast eine Frechheit. Der Film beklemmt, bedrückt, ist spannend und filmtechnisch gut gemacht, die Schauspieler sind authentisch und bringen die Atmosphäre gut rüber. Ich empfehle jedenfalls allen, sich ein eigenes Bild zu machen!

Fazit

Obwohl es an manchen Stellen an Tiefe fehlte, konnte mich der Film dennoch packen und unterhalten. Er war stellenweise richtig spannend und ich habe regelrecht mitgefiebert und gebangt, ob Lena und Daniel den Fängen von Paul Schäfer entkommen konnten. Auch die handwerkliche Art und Weise des Films hat mir zugesagt. Alles in allem ein sehr gelungener Film, der den Opfern von Colonia Dignidad gerecht wird und ein dunkles Kapitel der deutschen und chilenischen Geschichte thematisiert. Auf Englisch auch sehr gut zu verstehen. Ich vergebe abschließend

 
Kinostart Deutschland: 18. April 2016
Genre: Drama/Historie/Thriller
FSK: ab 12 freigegeben
Laufzeit: 110 Minuten
Produktionsjahr: 2015
Verleih: Majestic Filmverleih


1 Kommentar:

  1. Wenn du dich noch mehr für die Colonia Dignidad interessierst, kann ich dir nur das Buch "Weg vom Leben: 35 Jahre Gefangenschaft in der deutschen Sekte Colonia Dignidad" von Efrain Vedder empfehlen. Habe es vor Jahren gelesen und es schildert sehr gut, was die Sekte für Verbrechen, vor allem an Kindern, begangen hat. Eine berührende Biografie.

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